Poliomyelitis (Kinderlähmung)
Aktualisiert am 26.08.21
Poliomyelitis oder Kinderlähmung ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die durch das Polio-Virus ausgelöst wird. Der Erreger kommt weltweit nur beim Menschen vor und wird hauptsächlich fäkal-oral übertragen.
Der Begriff Poliomyelitis bezeichnet, aus dem Griechischen abgeleitet, die Entzündung der grauen Substanz des Rückenmarks. Die Erkrankung kann mit dauerhaften Lähmungen einhergehen und auch im Erwachsenenalter auftreten.
In diesem Ratgeber erhalten Sie Informationen zu folgenden Themen:
- Das Wichtigste über Poliomyelitis in Kürze
- Ursache von Poliomyelitis
- Symptome der Kinderlähmung
- Risiken und Komplikationen der Poliomyelitis
- Behandlung der Kinderlähmung
- Poliomyelitis vorbeugen
Wichtiges in Kürze
Anfang der sechziger Jahre trat in Deutschland die letzte Epidemie mit circa 9000 Fällen, die Lähmungen nach sich zogen auf. 1962 wurde eine bundesweite Impfkampagne gestartet. Damals verabreichten Ärzte den Lebendimpfstoff als Schluckimpfung. Gegenwärtig beträgt die Impfrate im Vorschulalter circa 95 Prozent. Heute gilt Deutschland als frei von Polio. Das Risiko des Imports von Viren aus dem Ausland ist aber weiterhin gegeben. Besonders gefährdet sind Reisende in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern mit schlechten Hygienestandards wie Nigeria, Pakistan und Afghanistan. Die WHO strebt die weltweite Ausrottung der Poliomyelitis bis zum Jahr 2018 an.
Inkubationszeit: circa 3 - 35 Tage
Ansteckungszeitraum: Solange der Infizierte das Virus ausscheidet, ist er als ansteckend zu betrachten. Ab circa 36 Stunden nach der Infektion ist das Virus im Rachenraum nachweisbar bis zu 6 Wochen später noch im Stuhl. Vereinzelt scheiden Infizierte mit einem geschwächten Immunsystem das Poliovirus über Jahre aus.
Durch die Erkrankung erworbene Immunität: Da bei einer Erkrankung nur eine dauerhafte Immunität gegen einen der drei Virustypen erworben wird, bleibt die Impfempfehlung bestehen.
Vorbeugen: Die aktuelle Empfehlung der STIKO (Ständige Impfkommission des Robert Koch Instituts) sieht eine Grundimmunisierung gegen Polio im Kindesalter vor. Sie erfolgt üblicherweise als Teil der 5- oder 6-fach Impfung im Alter von zwei, drei und vier vollendeten Lebensmonaten sowie im Alter von 11 bis 14 Monaten. Eine Auffrischung ist zwischen 9 und 17 Jahren vorgesehen. Im Anschluss ist keine weitere Impfung erforderlich.
Ursache von Poliomyelitis ist das Poliovirus
Das Poliovirus gehört zu den Enteroviren und ist stark resistent gegen Enzyme des menschlichen Immunsystems sowie gegen Desinfektionsmittel. Es sind die Typen 1 bis 3 bekannt. Nach der Aufnahme über den Mund durch verschmutztes Trinkwasser oder ähnliches siedelt sich das Poliovirus zunächst nach circa 36 Stunden im Rachen des Infizierten an und bleibt dort bis zu einer Woche nachweisbar. In diesem Stadium kann eine Ansteckung anderer per Tröpfcheninfektion erfolgen. Nach zwei bis drei Tagen ist der Erreger im Darm angekommen und vermehrt sich in einem Ausmaß, dass eine Ausscheidung über den Stuhlgang erfolgt. Der Betroffene ist nun circa sechs Wochen lang infektiös, bis das Poliovirus nicht mehr im Stuhl nachgewiesen werden kann. Der Erreger verbreitet sich bei schlechten hygienischen Bedingungen besonders gut über kontaminierte Nahrung, Getränke und Wasserreservoirs. In Einzelfällen konnte eine Ausscheidung des Poliovirus im Stuhl von immungeschwächten Menschen über Jahre beobachtet werden.
Symptome der Kinderlähmung
Eine große Anzahl an Infektionen mit dem Poliovirus verläuft ohne erkennbare Symptome. Das Immunsystem bildet Antikörper gegen den Typ des Virus, der vorlag. Eine erneute Infektion mit den anderen beiden Poliovirus-Typen ist aber möglich. Tritt die Erkrankung mit spürbaren Symptomen auf, sind verschiedene Verläufe möglich.
Die abortive Poliomyelitis
Circa sechs bis neun Tage nach der Infektion treten bei bis zu acht Prozent der Betroffenen Grippe ähnliche Symptome auf, wie:
- Fieber
- Kopfschmerzen
- Muskelschmerzen
- Magendarmbeschwerden
- Übelkeit
- Halsschmerzen
Das Zentrale Nervensystem ist bei dieser Form nicht infiziert.
Poliomyelitis mit Infektion der Zellen des Zentralen Nervensystems
- In zwei bis vier Prozent der Fälle, bei denen der Erreger bis in die Zellen des Gehirns und des Rückenmarks vordringt, entwickelt der Patient eine sogenannte nichtparalytische Poliomyelitis. Hier folgt circa drei bis sieben Tage nach der abortiven Phase eine Hirnhautentzündung (aseptische Meningitis). Typische Symptome sind Nackensteifigkeit, Fieber, Muskelkrämpfe und Rückenschmerzen.
- In 0,1 bis 1 Prozent der Fälle entwickelt sich eine paralytische Poliomyelitis. Nach schweren Nackenschmerzen und Muskelschmerzen treten Lähmungen auf, die seitenungleich verteilt sind. Sie können die Muskulatur von Armen, Beinen, Bauch, Brustkorb und Augen betreffen. Im Verlauf bessern sich die Lähmungen häufig, heilen aber nicht aus. Die seltene bulbäre Form schädigt wichtige Koordinationszentren mit lebenswichtigen Funktionen im Gehirn der Betroffenen und hat eine schlechte Prognose.
Risiken und Komplikationen der Poliomyelitis
Noch Jahrzehnte nach der Ersterkrankung kann es zum sogenannten Postpolio-Syndrom kommen. Die bereits bestehenden Lähmungen nehmen weiter zu und der Patient ist mehr und mehr von Muskelschwund betroffen. Mediziner gehen davon aus, dass die Muskelschwäche ein Resultat der chronischen Überlastung ist, die die noch nicht erkrankten motorischen Nervenzellen erfahren. Wissenschaftler konnten nicht beweisen, dass das Poliovirus in den Zellen überlebt und so das Postpolio-Syndrom hervorruft.
Behandlung der Kinderlähmung
Der Erreger der Kinderlähmung, das Poliovirus, kann nicht direkt medikamentös behandelt werden. Ärzte konzentrieren sich bei der Therapie auf die einzelnen Symptome, um dem Patienten durch die verschiedenen Phasen der Erkrankung zu helfen. Strenge Bettruhe in Kombination mit entzündungshemmenden Medikamenten zur Linderung von Schmerzen helfen zunächst bei der abortiven Poliomyelitis.
Bei Lähmungserscheinungen sofort reagieren
Treten bereits Lähmungen auf, ist die Lagerung des Patienten besonders wichtig. Erste physiotherapeutische Übungen unterstützen die Entspannung der erkrankten Muskulatur. Kommt es zu einer lebensbedrohlichen Lähmung der Atmung, wird der Betroffene auf der Intensivstation künstlich beatmet. In der Vergangenheit war der Begriff der "eisernen Lunge" den Menschen im Zusammenhang mit der Kinderlähmung bekannt. Ganze Turnhallen wurden Mitte des letzten Jahrhunderts mit den ersten Beatmungsgeräten gefüllt, um während einer Epidemie die Patienten in der akuten Phase der Poliomyelitis am Leben zu erhalten.
Poliomyelitis mit einer Schutzimpfung vorbeugen
Eine Impfung ist der einzige Weg, sich vor einer Erkrankung mit Poliomyelitis zu schützen. Von 1955 bis 1998 wurde in Deutschland die Schluckimpfung nach Sabin eingesetzt. Der Lebendimpfstoff wurde auf einem Stück Zucker verabreicht, fand hohe Akzeptanz und war wirtschaftlicher als eine Injektion. Die Zahl der Polioerkrankungen ging stark zurück. Eine unerwünschte Wirkung des Lebendimpfstoffs waren bis zu zwei Fälle der Kinderlähmung im Jahr. Wissenschaftler entwickelten daher einen inaktivierten Impfstoff, die inaktivierte Polio-Vakzine (IPV), der in Form einer Injektion eingesetzt wird und auch als Kombinationspräparat in der Fünffach- und Sechsfachimpfung zur Verfügung steht. Seit 1998 ist die Impfung gegen Polio so auch für Menschen mit einem geschwächten Immunsystem möglich.
Die Impfempfehlung der STIKO für die Kinderlähmung
Die Ständige Impfkommission des Robert Koch Instituts empfiehlt in ihrem Impfkalender eine Grundimmunisierung gegen die drei Typen des Poliovirus. Im Säuglingsalter werden die ersten Dosen verabreicht. Die Zeitpunkte liegen in einem Abstand von mindestens vier Wochen nah hintereinander. Begonnen wird mit dem abgeschlossenen zweiten Lebensmonat, gefolgt vom abgeschlossenen dritten und vierten Monat sowie einer Dosis in einem Lebensalter von 11 bis 14 Monaten. Eine Auffrischungsimpfung empfiehlt die STIKO für 9- bis 17-jährige Jugendliche. Im Anschluss ist keine weitere Injektion notwendig. Eine Ausnahmesituation stellt eine Reise in ein Land mit hohem Infektionsrisiko dar. Liegt die letzte Polioimpfung bei einem Erwachsenen mehr als zehn Jahre zurück, ist eine weitere Auffrischung sinnvoll.
Quellen
Ratgeber für Ärzte, veröffentlicht vom Robert Koch Institut, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Poliomyelitis.html